Vorwärts und nicht vergessen!

Altbürgermeister Peter Dingler

25. Juni 2015

In einem Brief an den SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel beklagt Vaterstettens Altbürgermeister Peter Dingler das Schweigen der Bundespartei zu Themen der Zeit und ruft zu mehr Mut auf, sich auf die traditionellen Werte der Partei zu besinnen und die drängenden Probleme der Gegenwart anzupacken.

Im folgenden der Brief im Wortlaut:

Lieber Sigmar Gabriel,

vielen Dank für Deinen schönen Mitgliederbrief. Er kommt gerade recht auf den sozialdemokratischen Gabentisch zu Weihnachten. Zweifellos habt ihr gute Ergebnisse erzielt, mit denen sich auch ein altgedienter Sozialdemokrat identifizieren kann. Und dennoch fehlt mir in dem leise vor sich hinsummenden Regierungsgetriebe etwas Entscheidendes: Etwas, wofür man als Sozialdemokrat auf die Straße gehen würde; etwas, auf das man jenseits aller anderen Parteien stolz sein könnte; etwas, wofür man auch bei schlechtem Wetter zum Wählen geht und so aus der jämmerlichen 24 Prozent-Klausur herauskäme. Natürlich waren es damals die wegweisenden Themen mit Willy Brandts Ostpolitik und dem Entwurf zum Nord-Süd-Dialog. Auch der Aufruf "Mehr Demokratie wagen" hat in der Gesellschaft und Politik zu einem segensreichen Aufbruch geführt, zum Beispiel heraus aus den verstaubten Hallen der Familienpolitik, und so weiter...

Diese Themen wären jetzt: Flüchtlingshilfe, Wahrung der Menschenwürde über dem Mittelmeer durch gesamteuropäische Initiative, Hilfe für Bürgerkriegsflüchtlinge und deren Aufnahme in Europa mit Willkommmenskultur und echter Integration, z. B. keine Arbeitsplatzsperre. Dasselbe gilt für Asylbewerber. Dann wäre da noch die Abwehr der Überwachungsmanie durch Geheimdienste und Anerkennung von echten und mutigen Aufklärern, wie Edward Snowden. Sind wir so feige geworden, dass wir diesem aufrechten Mann kein Asyl mehr anbieten? Wo bleiben da die Stimmen von sozialdemokratischen Abgeordneten? Ich höre keine!

Des Weiteren wissen wir alle, dass die Schere zwischen Arm und Reich ständig weiter auseinanderklafft. Was tut unsere Partei dagegen? Die Diskussion um die Abschaffung der sogenannten "Kalten Progression" ist demgegenüber unendlich kleinkariert. Wo ist dazu der große gesellschaftspolitische Entwurf? Oder die Transaktionssteuer: Vollmundig wurde sie von unserer Partei gefordert, und jetzt hört man von unserer Partei dazu gar nichts mehr. Sind wir wirklich so klein und selbstverleugnerisch geworden, wie uns Frau Merkel in Thüringen darstellt? Hat sie am Ende Recht? Oder die Personalaffäre mit Juncker: Ich hatte so sehr auf den couragierten Gen. Schultz gesetzt, aber nun hat er den Steuerblender Juncker wieder in den Sattel gesetzt, oder jedenfalls ihn nicht davon herunter geholt, oder jedenfalls dies nicht einmal versucht.

Mit dem TTIP ist es das Gleiche: Zuerst lauthalsige Gegnerschaft aus guten Gründen, dann Schweigen und schließlich entschlossenes Einfordern der Zustimmung. Haben sich die Schiedsgerichte, die Methoden der Geheimverhandlung und die Zulassung auch negativ abweichender amerikanischer Verbraucherstandards mittlerweile in Luft aufgelöst?

Bei allem Verständnis für das Kompromissverhalten einer Partei in der Koalitionsregierung: Es wäre so schon, von meiner sozialdemokratischen Partei aus Berlin wieder klare, richtungsweisende, mutige und kluge, das heißt in die Zukunft weisende Forderungen zu vernehmen. Dazu gehört natürlich auch die gerade in Bayern zerredete Energiewende mit der Aufgabe des Klimaschutzes.

Wenn schon nicht aus dem Regierungsviertel, dann sollten diese Rufe doch aus den Parteitagen zu hören sein. Gerne schlafe ich dann auch bei offenem Fenster, um diese Rufe ja nicht zu überhören.

Also, liebe Genossen, bitte mehr Mut, mehr Aufrichtigkeit, mehr Rückbesinnung auf die Werte unserer Partei, mehr Selbstbewusstsein, und neben dem Gebrabbel von regierungsamtlichen Sprechern bitte einmal im Jahr den großen Aufruf zu internationaler Solidarität zwischen den Menschen und Völkern, den Ruf nach Freiheit von Bildungsschranken, Not und Unterdrückung. In diesem Sinne:"Vorwärts und nicht vergessen!"

Euer Peter Dingler
Altbürgermeister und Rechtsanwalt

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